Neele folgte ihrem Traum und erlernte trotz ihres Down-Syndroms einen Beruf außerhalb der Werkstätten für Behinderte – die bisher einzige Möglichkeit zur Berufsausübung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Unterstützt von engagierten Mitstreitern und ihrer Familie zeigt sie nun, was sie zu geben hat.
Nur „Schraubenundblablabla“ – nichts was mich wirklich interessiert
Die richtige Berufsausbildung zu finden ist für viele Menschen ein echt kompliziertes und schwieriges Unterfangen. Entweder ist das Angebot unübersichtlich und überwältigend oder man scheint nirgends mit seinem „Sein“ reinzupassen. Für Neele kam noch ein weiterer Faktor erschwerend dazu – als junge Frau mit Down-Syndrom wurde ihr einzig und allein ein Arbeitsplatz in den Werkstätten für Behinderte angeboten. Wie Neele sagt, wird dort aber nur mit sowas wie „Schraubenundblablabla“ gearbeitet – nichts was sie wirklich interessiert. Schülerinnen und Schüler der Förderschulen werden nicht als erwerbsfähig angesehen und somit kommt für sie kein „normaler“ Beruf in Frage.
Neele hat einiges ausprobiert und nicht aufgehört ihren ganz eigenen Traum zu verfolgen. Seit frühester Kindheit macht sie Akrobatik und Tanz. Und wenn sie tanzt fühlt sie sich frei und glücklich. So lernte sie die Tanzpädagogin Corinna Mindt kennen – die Frau die sich getraut hat, Neele nach einiger Zusammenarbeit und einem gründlichen Kennenlernen ein ungewöhnliches und einzigartiges Angebot zu machen.
„Wenn Neele sich traut ihren Träumen trotz ihrer Einschränkungen zu folgen, dann könnte ich das vielleicht auch…?“
Weil alle mutig genug waren ein Experiment zu wagen, arbeitet Neele nun als Tänzerin in der tanzbar_bremen. Seit einigen Monaten hat sie ihre Ausbildungszeit abgeschlossen und ist nun die erste vollwertige Angestellte des Vereins. Täglich arbeitet sie mit Corinna an Choreografien für neue Stücke und kümmert sich aber auch um Organisatorisches wie z.B. Künstlerbetreuungen – in ihren Maßen. Außerdem leitet Neele in Kursen und Workshops Übungen für Gruppen in Schulen an. Für die Schüler dort oft ein Moment des „Erwachens“: „Wenn Neele sich traut ihren Träumen trotz ihrer Einschränkungen zu folgen, dann könnte ich das vielleicht auch…?“
Neele macht ohne große Worte klar, dass unsere Träume ein wichtiger Indikator dafür sind, was potenziell aus uns werden kann.
So ist Neele jetzt schon eine Mutmacherin für Andere, die auch Bestärkung gebrauchen können bei der Findung ihres Lebenswegs. Eine Bestärkung, die ohne große Worte klar macht, dass unsere Träume ein wichtiger Indikator dafür sind, was potenziell aus uns werden kann.
Neele hat sich nicht zu lange mit dem Gedanken aufgehalten, dass es unmöglich sein könnte, einen anderen Berufsweg als vorgegeben einzuschlagen. Auch wenn das Suchen und Ausprobieren der Möglichkeiten innerhalb der Werkstätten für sie zäh und unbefriedigend war und anfangs über viele Monate keine Alternative am Horizont erschien. Doch Neele ist vom Typ her sehr beharrlich, hat liebevolle Unterstützung in ihrer Familie und ist tänzerisch wirklich talentiert.
Für Corinna ist die Zusammenarbeit mit Neele kein soziales Unterfangen, sondern eine künstlerische Kooperation auf Augenhöhe in einer neuen und noch unbekannten Qualität. Und auch harte Arbeit. Für sie beide. Der Aufwand und die Finanzierung der Stelle ist ein Konstrukt, an dem viele mittragen. Private und öffentliche Förderung ohne sichere Perspektive und Planbarkeit. Mit ihrem Konzept erforscht sie neue Formate, die jetzt schon in Schulen und auch zukünftig in Unternehmen kulturelle Impulse des Miteinanders transportieren werden. Mit dem Tanzduett „Rosa sieht Rot“ sind Corinna und Neele heute schon buchbar und kommen auf Festivals und andere Veranstaltungen.
Neeles ganz persönliches Statement zu ihrer Berufswahl:
Gemeinsam Neuland betreten
Hier sind Menschen gemeinsam bereit Neuland zu betreten, ohne zu wissen wo es sie genau hinführt. Corinna war sich nicht sicher, ob sie überhaupt genug „Programm“ für jeden Tag der Ausbildung und Zusammenarbeit haben würde. Eine Sorge die schnell unbegründet erschien. Corinna sagte mir, dass es sicherlich von Vorteil war, nicht zu lange im Voraus über alles nachgedacht zu haben, sondern dem inneren Impuls gefolgt zu sein. Sonst hätte sie sich vielleicht entmutigen lassen angesichts der vielen äußerlichen, organisatorischen Stolpersteine. Auch wenn für Neele sich ihr Traumberuf verwirklicht, ist es nicht einfach für sie, mit der unplanbaren Zukunft umzugehen. Sie benötig für sich selbst sehr viel Struktur und Sicherheit in ihrem Alltag, um sich wohl fühlen zu können. Somit ist es für Neele besonders schwer mit den Unsicherheiten ihrer Ausbildung zu leben. Oft fragt sie ihre Mutter wie es denn weiter geht. Doch mittelfristige Planung ist noch nicht möglich und so dehnt Neele immer wieder ihrer Komfortzone und macht mutig weiter, trotz der Ungewissheit wo es sie hinführen wird. Innerhalb einer Anstellung in den Werkstätten hätte sie eine Planbarkeit und Absicherung für ihre gesamte Lebens-Arbeitszeit gehabt. Sie ist sich diesem für sie notwendigen Opfer sehr bewusst und sagt immer wieder mutig „Ja“ zu ihrem ausgewählten Weg.
Ich kenne Neele schon sehr lange, genau genommen seid ihrer Geburt. Ich war nach dem Interview mit ihr berührt und auch nachdenklich. Denn wenn ich ehrlich bin hätte ich vor gut 20 Jahren nicht gedacht, dass ausgerechnet Neele mir zeigen könnte, wie es geht seinen Lebenstraum so konsequent zu folgen. Und jetzt ist sie für mich ein Vorbild für die Entfaltung von einen ganz eigenem Lebens- und Berufsweg. Sie, Corinna und ihre Eltern zeigen mir noch einmal deutlich auf, was es braucht, um seine eigenen Wege einschlagen zu können:
- Vertrauen in einen Weg, der noch noch unbegangen und unsichtbar vor einem liegt
- Das Loslassen vom Gedanken, alles schon planen und wissen zu können
- Viel Liebe für die Sache
- Unterstützer und Mentoren
- Viel Verbundenheit und Freude im Miteinander
- Und natürlich das Hören auf die eigenen, inneren Herzenswünsche
Also, lasst uns nicht verzagen auf dem Weg zum eigenen Herzensprojekt – Neele macht es uns vor, wie es gehen kann.
Go out there and do amazing things!
Alle Fotos mit freundlichster Genehmigung:
Ahoi Fotografie – www.danielabuchholz.de
Neele Buchholz
Auszubildene zur Tänzerin, Assistenz und erste Angestellte des Vereins tanzbar_bremen
Geboren 1991 in Bremen und tanzt seit 1994 in integrativen Tanzkursen. Seit 2004 Mitglied der Jugendtanztheaterkompanie „Die Anderen“ am tanzwerk_bremen.
Seit 2008 Mitglied des Ensemble „Die Süßen Frauen“ des Blaumeier-Ateliers Bremen e.V.
Seit 2010 regelmäßiges Training bei der tanzbar_bremen
Teilnahme an diversen, zum Teil ausgezeichneten Bühnenproduktionen
Zudem verschiedene Engagements als Model für die Fotografin Conny Wenk sowie die Agentur Select NY Berlin / Fotoshooting Aktion Mensch
tanzbar_bremen
Rosa sieht Rot“ – ein Tanzduett zweier Frauen über Fernweh- Liebe- Lust- Mut- Zweifel- Angst- Verwirrung- Neugier – ist für Festivals und andere Veranstaltungen buchbar –
Allgemeine Infos zur Tanzbar_bremen
2 Comments
Danke, Danke,Danke – das ist eine wunderbare Ermutigung selber endlich zu springen und eine sinnstiftende Einladung immer wieder aus der Angst ins Vertrauen zu gehen,um sich endlich den Herzensangelegenheiten zu widmen…..
Raoul
Danke Dir lieber Raoul für Deinen schönen Kommentar!