Seit unzähligen Generationen und in fast allen alten Kulturen hat die Suche nach der eigenen Identität und dem Platz in der Gemeinschaft eine große Bedeutung besessen. Der Gedanke, dass jeder Mensch mit seiner Geburt ein Potenzial mitgeschenkt bekommt, welches sich im besten Falle über den eigenen Lebensweg entfalten kann, ist weit verbreitet. Wenn es gelingt, die einzelnen Bestandteile des Ichs zu einem geschlossenen Bild zusammen zu setzten, soll ein jeder nicht nur ein persönlich erfülltes Leben führen, sondern auch wichtige große wie kleine Aufgaben für unsere zukünftigen Gemeinschaften erfüllen können.
Wie findet man Antworten aus dem Selbst?
In unserem Kulturkreis ist dieses Wissen seit langer Zeit verschluckt. In einem Weltbild, in dem klare wissenschaftliche Thesen die Orientierungspunkte setzen, ist ein unsichtbares Potenzial nicht greif- oder messbar und somit auch nicht wirklich existent. So kreisen Berufsfindungsprozesse zwar um die Analyse von Stärken und Talenten sowie um wirtschaftliche Zukunftsprognosen und Verdienstmöglichkeiten, lassen aber den individuellen Sinn des Einzelnen meistens unberührt. Dieser Sinn ist auch nicht einfach zu erfassen, sondern bedarf einer nach innen gerichteten Aufmerksamkeit über längere Zeiträume. Länger, als es uns manchmal lieb und möglich ist. Auch fehlen uns oft die richtigen Fragen, Räume und kundigen Begleiter, um uns auf die Reise nach Antworten tief aus dem eigenen Sein aufmachen zu können.
„Deine Vision wird nur dann klar, wenn Du in Dein eigenes Herz schaust. Wer nach außen schaut, träumt; wer nach innen schaut, erwacht.“ Carl Gustav Jung
Wenn sich das Potenzial bei jemanden entfaltet hat, dann ist dieses nicht mehr zu übersehen. Wenn wir Menschen begegnen, die wirklich lieben was sie tun und so ihrer Passion folgen, spüren wir ganz deutlich, dass da mehr ist, als nur eine geschickte Karriereplanung. Es scheint sich etwas eingelöst zu haben, wo nun plötzlich alle Teile perfekt zusammen passen. So wird ein einzigartiges geschlossenes Bild sichtbar, welches vorher nur aus losen, unzusammenhängenden Teilen bestanden hat. Hierbei entstehen Berufs- und Lebenswege, die kein Berufsberater hätte planen können.
Das Potenzial entfalten – und wie genau?
Als ich meine hauptberufliche Suche nach diesem „Potenzial“ begann, hatte ich keine Ahnung, was ich anstellen sollte, um mich diesem weiter zu nähern. Doch irgendwie hatte ich eine Ahnung, dass sich hinter meinen größten Ängsten auch meine größten Schätze verborgen halten könnten. Und so beschloss ich, dieses ungeliebte und oft verdrängte Gefühl als meinen zukünftigen Navigator zu nutzen.
„Unsere Ängste sind die Drachen, die unsere größten Schätze bewachen.“ Rainer Maria Rilke
Ich kletterte über meine Komfortzonen so oft es ging, um ins freie Feld des Lebens zu stolpern. Auch meine elende Flugangst konnte mich nicht länger abhalten, mich auf Reisen zu begeben, die meinem eigentlichen Sicherheitsbedürfnis keine Lebensberichtigung mehr erteilten. Plötzlich stampfte ich durch den Himalaya und schlief in Bambushütten, die gerne von Skorpionen bewohnt und Tigern umkreist wurden. Beherbergt von äußerlich sehr armen und
innerlich sehr herzlichen Nepalis. In Israel besuchte ich Palästinenser wie Juden und lernte dort großartige Menschen auf beiden Seiten kennen. Doch natürlich flog meine Angst vor offen getragenen Maschinengewehren und dem bedrohlichen Alltag durch Bombenattentaten in Bussen und anderswo immer mit. Aber ich stellte mich auch scheinbar einfacheren Herausforderungen und wurde so temporäre vegane Köchin auf Hawaii. Diese sinnlich anmutende Aufgabe in einem traumhaften Surferhaushalt brachte mich anfänglich trotzdem an meine Grenzen. Warum? Ich war es gewohnt mir bei jeder Gelegenheit unangemessenen Leistungsdruck zu verordnen und hatte anfänglich den Eindruck, den Ansprüchen des Paradieses nicht standhalten zu können. Erst als mir klar wurde, dass ich nicht an offenen Herzen operierte und ich im schlimmsten Falle nur vom Ekel verzogene Kindermienen ertragen musste, glättete sich die Lage. Und es wurde die beste Zeit überhaupt. Und dort machte ich meine ersten Interviews mit „Menschen die lieben was sie tun“ , woraus sich dann dieser Blog entwickelte. Ich wurde bei jedem mutigen Schritt über meine eigenen Grenzen belohnt. Erkannte größere wie kleinere Dimensionen und Muster, lernte viel über mich, andere Menschen und Gemeinschaften.
Vier Tage und Nächte alleine in der Wildnis
Doch als ich das erste Mal von der Visionssuche las, war meine persönliche Grenze des Denkbaren erreicht. Vier Tage alleine und fastend in den Wald zu gehen um dort „um ein Gesicht zu flehen“ – wie die Visionssuche bei den nordamerikanischen Lakota heißt – konnte ich mir nicht vorstellen. Die Bilder von wilden Tieren, bösen unberechenbaren Männern, aber auch gähnender Langeweile stiegen in mir hoch. Die freie Natur genoss ich eher in überschaubaren und planbaren Dosen. Dass die Visionssuche ein sehr wirkungsvolles Ritual der indigenen Völker war, welches junge Menschen in die Welt der Erwachsenen initiierte und das half, Lebensübergänge und Krisen zu bewältigen oder auch wichtige Lebensfragen zur Neuausrichtung zu beantworten, leuchtete mir theoretisch ein. Doch ob dies auch ein sinnvolles Ritual für eine moderne Frau mit gewissen grundlegenden Ansprüchen an Komfort, Facebook und Sicherheit war, schien mir mehr als fraglich. Und trotzdem, der ersten Funke der Faszination hatte sich in mir festgesetzt. Und er ging auf wie ein Hefekloß – trotz aller Gegenwehr. Es sollte noch ein paar Monate dauern, doch plötzlich war mir glasklar, dass ich bereit war, in den Wald zu gehen.
Das Ich im Wald entdecken
Mein Wald lag in Schweden und zusammen mit einigen anderen nervösen und gespannten Teilnehmern trat ich die für mich angsterfüllteste und im Anschluss wunderbarste Reise meines Lebens an. Zwölf magische Tage voller neuer Erfahrungen und Erkenntnisse – vier Tage davon alleine im Wald. Angefüllt mit Erlebnissen in der Natur, die mein eigenes Seelenleben so klar spiegelten und auf den Punkt brachten, dass ich es oft unheimlich fand. Es war für mich eine Rückverbindung an die Natur, in der ich mich das erste Mal in meinem Leben wirklich beheimatet, ja zugehörig fühlte.
„Wer länger in der Wildnis bleibt, träumt anders, denkt anders, nimmt anders wahr.“ sagt Wildnisforscher Robert Greenway. Unsere Vorfahren wussten, dass man seine gewohnte Welt verlassen musste, um diese wirklich erkennen zu können. Intuitiv hatte ich ja schon durch meine Reisen versucht, meine gewohnte Welt zu verlassen um zu neuer Erkenntnis zu gelangen. Doch diese Grenzüberschreitung des Gewohnten in einem gemeinschaftlichen Ritual in der Wildnis zu erleben und dabei begleitet und beschützt von erfahrenen Mentoren zu sein, hatte eine ganz tiefe und heilsame Qualität.
Seit vielen Jahren beschäftige ich mich damit, was Menschen unterstützen und leiten kann in Zeiten von Veränderungen, beim Auftauchen von Lebensfragen und Sinnkrisen. Ich habe das Glück, schon so wunderbare Lehrer gehabt zu haben und vieles erleben und erfahren zu dürfen.
Als ich die Visionssuche mit ihrer dahinterliegenden Philosophie und vielen weiteren Möglichkeiten kennenlernte, wusste ich sofort, dass ich mehr darüber lernen wollte. Ja, dass dies für mich noch ein ganz wichtiges Puzzlestück ist, was mir noch fehlte, um mein ganz eigenes Bild meiner Passion entwerfen zu können. So habe ich begonnen weiter zu lernen bei der inspirierenden Schweizerin Ursula Seghezzi und bei Haiko Nitschke – dem Mann, der die Visionssuche vor zwei Jahrzehnten aus Kalifornien von der“ School of Lost Borders“ nach Deutschland brachte. Und im August werde ich nun eine Visionssuche begleiten. Und ich freu mich schon unglaublich darauf!
Willst Du auch „deep into the wild“?“
Falls Du Lust bekommen hast, mit Deinen Lebensfragen in die Wildnis zu gehen – im August 2016 biete ich eine Visionssuche an – mehr dazu findest Du hier.
Viele weiterführende Informationen findest Du auch beim deutschsprachigen Netzwerk Visionssuche und bei der englischen Seite der School of Lost Borders.
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