Neujahr war Neustart meines Blogs – dieser Tag ist erst knapp sechs Wochen her und ich hätte nie gedacht, dass ich in so kurzer Zeit schon so viele Rückmeldungen, Gleichgesinnte und Unterstützer treffen würde. Danke an alle Mut- und Mitmacher!
Als ich den Blog online schaltete, fühlte ich mich eher elend, als in Feierstimmung. Und das lag nicht an der Party der vergangenen Nacht, sondern an dem mulmigen Gefühl im Bauch, mich und meine Fragen und Beweggründe nun so direkt zu offenbaren. Irgendwie wie in diesen Träumen, wo man plötzlich nackt an der Bushaltestelle steht und nicht weiß, wie man da hingekommen ist. Alles starrt, ich nackt, was nun?
Jetzt bin ich hier zwar nicht nackt, aber ich zeige der Welt oder zumindest einem mikroskopischen Teil etwas, was bisher im Verborgenen lag. Etwas, was irgendwie auch uncool scheint, weil es nicht die geschmeidige Antwort, sondern die Frage ganz nach oben stellt:
„What am I here for?“
„What am I here for?“ – was ist meine Aufgabe im Leben und wie finde ich diese heraus? Wie kann ich einen Lebens- und Berufsweg entfalten, der wirklich etwas von mir ausdrückt? Gibt es überhaupt so etwas wie eine persönliche, einzigartige Berufung? Wie verändert das Suchen, Finden und Leben der Berufung den Lebensweg? Was bedeutet das „Hören auf den inneren Ruf“ für einen Selbst und für die Welt, die Gesellschaft und die Gemeinschaften in denen wir leben?
Warum hören manche den inneren Ruf und andere nicht? Wer ruft da eigentlich? Besteht die innere Stimme aus Sozialisation, psychologischen Mustern oder so etwas wie dem höherem Selbst?
Und wenn ich nichts Genaues höre, aber ganz deutlich spüre, dass da mehr ist, was mache ich dann? Wo und wie suche ich? In meinem Inneren oder im Außen? Womit fange ich an und wie ist die Reihenfolge? Und was mache ich mit meinem „alten“ Leben, wenn noch gar kein Neues da ist?
In einer Welt, die mit Antworten handelt wie mit Meterware, überfluten unzählige Ratgeber, Coachingbücher, Weisheitslehren und 7-Punkte –Listen „How-to-live“ seit langem meine zittrige Frage. Eigentlich genau genommen seitdem ich sechzehn oder siebzehn war. Damals war ich weit davon entfernt in meinen eigenen Fragen etwas Wertvolles oder Wegweisendes zu sehen. Etwas, was mir sogar hätte helfen können, meinen Lebensweg auszuloten und zu gestalten. Ich erschien mir einfach nur verdreht, hormonbelastet und sozial inkompatibel. Ein erhellender, weiser Mentor war nicht in Sicht, also entschied ich, das sich diese Fragen bitte mal ganz hinten anstellen mögen: „Hey, ich komme auf euch noch zurück – versprochen! Spätestens wenn ich das „eigentliche Leben“ im Griff habe. Vielleicht so in 10 oder 15 Jahren. Macht’s euch gemütlich, fühlt euch wie Zuhause, Verlorenheitsgefühle und neurotische Anwandlungen findet ihr im Kühlschrank“.
Es waren die Neunziger – da wo viele noch die Schrillheit der 80iger versuchten zu verarbeiten oder im „goagroove“ auf Thailandreise gingen, war ich mit Anfang Zwanzig alleinerziehende Mutter, Hobby-Philosophin und bald schon Unternehmerin. Meine Fragen klopften im Laufe der Jahre etwas irritiert, etwas gelangweilt immer wieder mal bei mir an. Um nicht als Eso-Symphatisantin, Spaßverderber oder Systemkritiker unangenehm aufzufallen, verbannte ich diese Seite in mir in einen gut abgegrenzten Privat-Bereich mit vielen, vielen Büchern, ein paar seltenen Gesprächen mit Verbündeten oder einzelnen Seminaren, deren Titel ich damals meinen besten Freundinnen und ärgsten Feinden lieber nicht preis gab. Ich wusste ja noch nicht, das ich mit diesen grundlegenden Sinnfragen auch in meinem direkten Umfeld gar nicht so alleine war.
Viel Karriere und manchmal zu wenig Leben
So machte ich Jahr um Jahr weiter mit viel Karriere und manchmal zu wenig Leben und dachte, das sich doch langsam ein sinnvolleres Bild von dem, was wir hier gemeinsam tun, zusammensetzten müsste. Mir wurde damals einfach nicht klar, wo uns unsere ausschließlich auf Wachstum ausgerichtete Wirtschafts – und Arbeitswelt – die zum Teil sinnlosen Konsumschrott in Sekundentakt ausspukte – hinführen sollte. Das fehlgeleitete Konkurrenzdenken untereinander empfand ich als schal und unsexy. Und das Credo – „Besser ist wer lauter brüllt“ – in schönem Arrangement mit der ständigen Erhöhung der Geschwindigkeit, machte den gut getarnten Irrsinn perfekt.
Als ich nun viele Jahre später den Mut fasste, meine noch immer unbeantworteten Fragen an die frische Luft zu entlassen und diese zum Hauptangelpunkt meines weiteren Handelns zu erklären, da machte ich eine an sich einfache, aber sehr erhellende Entdeckung:
Nicht die Beantwortung der eigenen, drängenden Fragen markiert den Moment des Losgehens in einen neuen Lebensabschnitt. Es ist das Auftauchen der Frage, die sich plötzlich wie ein treuer, aber nicht eingeladener Begleiter den Weg über Stock und Stein mit dir teilt. Sie ist nicht mehr abzuschütteln oder zu verscheuchen. In diesem Moment ist es da, das sichere Aufbruchzeichen eines notwendig gewordenen Wandels. Die offene Frage ist nicht so schlecht wie ihr Ruf, denn sie ist eine direkte Botschaft aus unserer ureigensten Steuerzentrale. Ein wegweisendes Geschenk auf der Suche nach unserem ganz eigenen Lebensweg. Wenn wir diese dann zuschütten mit schlauen Antworten Dritter, nur um schnell wieder unsere Ruhe in unserem doch gerade ganz passabel eingerichteten Leben zu haben, wird sie ungemütlich wie ein Wadenkrampf.
Ist das Leben vielleicht einfach so trüb und anstrengend?
Und da wir uns selbst oft weniger zutrauen, als gut wäre, beginnt die Suche nach der dringlich vermissten Antwort oft erst einmal im Außen. Soll ich den Job wechseln oder den Freund. Liegt alles an meiner Ernährung oder doch nur am falschen Wohnort. Ist das Leben vielleicht einfach so trüb und anstrengend oder ist es doch das Wetter? Schuld hier, Schuld da. Mit unzähligen Büchern, Filmen oder Menschen, die das gleiche Thema anzieht, versuchen wir diese diffuse innere Gefühl zu verscheuchen.
Doch die Antwort im Außen zu suchen, ist nur den erste Schritt. Der Schritt zum Schritt, es selbst in „echt“ auszuprobieren. Loszugehen auf einem Weg, der noch nicht im Navigationsgerät des Lebens verzeichnet ist. Also mehr erleben statt erlesen. Raus aus der Zone der Außenbestimmtheit. Der Schritt ist zu tun, sonst bleibe ich umgeben von Bücherbergen oder Bookmarks in einer Scheinentwicklung stecken. Dann ist das nächste Buch, der nächste Ratgeber nur ein Substitut für das „sich selbst nicht zu wagen“.
Es geht darum hinzufühlen, was wachsen möchten. Hinzuhören, was aus mir spricht. Langsam zu begreifen, das die Antwort wirklich nur in uns steckt. Was, in mir?
Und kein Ratgeber der Welt kann für dich fühlen, deine eigene Stimme hören, für dich vertrauen entwickeln oder dich selbst akzeptieren und lieben. Doch diese Qualitäten sind die Pforten zu einem Lebensweg und Berufsweg, der wirklich etwas von dir selbst ausdrückt. Und dieser Weg braucht Zeit und Geduld. Vor allen Dingen immer wieder mit sich selbst.
Wir sind gut beraten uns gegenseitig bei diesen Entwicklungsschritten zu helfen. Es gibt so tolle Mentoren und Lehrer, weise Freunde und Gruppen vom Menschen, die auch auf dem Weg der eigenen Entfaltung sind. Wenn ich nicht aus den Augen verliere, das sie nicht meine Antworten haben können, sondern vielleicht nur noch bessere Fragen. Fragen, die plötzlich den Nebel wie von Zauberhand bei mir lüften können. Und das ich mich mit ihnen nicht mehr alleine fühle, auf diesen manchmal verworrenen, undurchsichtigen Weg.
Vielleicht ist es vielleicht, viel leichter
Doch vielleicht ist der erste Schritt kleiner und leichter, als es uns manchmal vorkommt. Der Yoga- oder Irgendetwasanderes-Kurs an der Ecke, das Gespräch ohne Störung und Iphone beim selbstgekochten Essen mit einem Freund oder der gute alte Waldspaziergang unserer Kindheit in neuer Pracht. Ein Schritt raus aus der Starre des Grübelns und des immer noch nach mehr Informationen und Sicherheiten suchenden Denkapparats.
Ein erstes zartes Date mit meinem Innenleben, man muss ja nichts überstürzen. Aber dann fängt man langsam an, sich öfters zu treffen. Hey, man lernt sich kennen und dann entsteht plötzlich so etwas wie eine echte Freundschaft, vielleicht sogar Liebe – mit mir selbst. Verrückt!
Aber Vorsicht – manchmal ist die Welle nicht mehr aufzuhalten und das Leben fließt in ungeahnte Bahnen. Und plötzlich fühlst du dich wie im eigenen Roadmovie deines Lebens und erlebst Dinge, die du dir vorher nicht hättest vorstellen können. Beipackzettel gibt es nicht, wenn das Ufer einmal losgelassen ist dann heißt sich tragen lassen, mitschwimmen, vertrauen und sich von jeder Flußbiegung neu überraschen zu lassen. Doch man kann ja immer wieder zurück an das Ufer schwimmen und eine Pause einlegen. Bis zum nächsten gurgelnden Ritt durch die Strömung.
So begann es bei mir – irgendwann vor Jahren als meine inneren Fragen ungeduldig und ungnädig mit mir wurden. Und jetzt habe ich diese wunderbare Möglichkeit gefunden, meine eigene Frage in den Mittelpunkt meines Handelns zu stellen. Und so gibt es diesen Blog und er markiert einen wirklich neuen Abschnitt in meinem Leben.
Also – ruft eure Fragen laut ins Leben!
Und habt Mut, das nächstliegende Ungewisse zu tun, es gibt viel mehr zu gewinnen als zu verlieren!
Und teilt eure Geschichten des Fragens und Ausprobierens – schreibt mir!
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